200.000 Besucher im Jahr zeigen: St. Stephan ist eine Attraktion! Touristen aus der ganzen Welt pilgern hinauf auf den Stephansberg, zu den blau leuchtenden Glasfenstern des Künstlers Marc Chagall. Wiederaufbau und Restaurierung der gotischen Kirche, die im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstört wurde, brachte zugleich ihre Neubelebung. Vor über tausend Jahren, im Jahr 990, hatte der Erzbischof von Mainz und Erzkanzler des Reiches, Willigis, hier ein Kollegiatstift errichtet und die Kirche als "Gebetsstätte des Reiches" erbauen lassen. Der Erbauer des Doms fand in St. Stephan 1011 selbst seine letzte Ruhe. Der gotische Neubau wurde zwischen 1290 und 1335 errichtet. Er steht auf den Fundamenten der im ottonisch-vorromanischen Stil um 990 erbauten Basilika. Als 1857 der nahe gelegene Pulverturm explodierte, wurde auch St. Stephan schwer beschädigt. Bei der Wiederherstellung entfernte man die reiche barocke Ausstattung.
Heute stellt sich das Gotteshaus als klar gegliederte Hallenkirche mit drei Schiffen dar, in denen die gotischen Gewölbe noch nicht wiederhergestellt sind. Die Wände sind weiß gehalten, der rote Sandstein der tragenden Architekturteile bildet dazu einen reizvollen Kontrast. Der 66 Meter hohe, geräumige Turm des Bauwerkes stammt vermutlich bis zur Höhe des Spitzbogenfrieses noch von der Willigiskirche. Ein breiter Riss im Turm war bereits 1947 geschlossen worden. Zur 2000-Jahr-Feier der Stadt, 1962, wurden Kuppel und Laterne wieder aufgesetzt.
Bis 1911 hatte in einer eigens eingerichteten Wohnung noch ein Türmer als Brandwächter hoch über den Dächern gelebt; hier wurden einmal sogar Drillinge geboren. Diese Brandwache der Stadt gab es seit 1559.
St. Stephan ist die einzige deutsche Kirche, für die der jüdische Künstler Marc Chagall (1887 - 1985) Fenster schuf. In Russland geboren verbrachte der Künstler die längste Zeit seines Lebens in Frankreich. Durch die Buntverglasung fällt blaues Licht in den Kirchenraum von St. Stephan, und in diesem Licht bewegen sich scheinbar schwerelos nicht nur Engel, sondern auch andere biblische Gestalten. "Die Farben sprechen unser Lebensgefühl unmittelbar an, denn sie erzählen von Optimismus, Hoffnung, Freude am Leben", sagt Pfarrer Klaus Mayer, der in Meditationen und Büchern das Werk Chagalls vermittelt. Er hat 1973 den Kontakt zu Chagall hergestellt und den "Meister der Farbe und biblischen Botschaft" überzeugen können, im Ostchor ein Zeichen zu setzen für jüdisch-christliche Verbundenheit und Völkerverständigung. 1978 wurde das erste Chagall-Fenster des damals 91-jährigen Künstlers eingesetzt. Es folgten weitere acht, sechs für den Ostchor und drei im Querhaus. Das letzte vollendete Marc Chagall, der Ehrenbürger von Mainz wurde, aber nie die Stadt kennen lernte, kurz vor seinem Tod im 98. Lebensjahr. Als Hinführung zu den Meisterwerken dienen in den Seitenschiffen die 19 später entstandenen und bewusst schlichter gehaltenen Fenster von Charles Marq aus dem Atelier Jacques Simon in Reims. Mit Marq hatte Chagall 28 Jahre zusammen gearbeitet.
Wer die berühmten Fenster gesehen hat, sollte nicht den Rundgang im schönsten spätgotischen Kreuzgang von Rheinland-Pfalz versäumen. Hier war die Begräbnisstätte vieler der 600 Stiftsherren. An sie erinnern die Grabplatten und die Wappen der Stifterfamilien. Bereichert werden die Wappen von neuzeitlichen Schlusssteinen von Bund, Land, Bistum und Stadt Mainz. Auch sollten Kunstschätze wie der thronende Gottvater aus dem 15. Jahrhundert oder die spätgotische Figurengruppe der Anna Selbdritt nicht übersehen werden. Taufkinder werden in St. Stephan seit einigen Jahren wieder über den ursprünglichen, gotischen Taufstein von 1330 gehalten.