Sie sind die Orte rheinhessischer Lebensart und Weinkultur: die Straußwirtschaften. Überall in Rheinhessen gibt es sie. Wir haben sie nicht gezählt, weil es so viele sind. Und vielfältig sind sie auch: Mal findet ihr sie im Garten eines Winzerhofes, mal in der umgebauten Scheune, mal direkt am Weinberg mit bester Aussicht in die Weinhügel oder – besonders rheinhessen-typisch – in der ehemaligen Kuhkapelle. Wohl keine Bewirtschaftungsform ist so urig, bodenständig und zugleich zeitgemäß-modern, wie die traditionelle Weingastronomie. Hier kommt ihr schnell mit anderen Weinfreund*innen und natürlich mit den Weinmacher*innen in Kontakt und erfahrt vieles über Wein, Land und Leute. Mehr müsst ihr eigentlich nicht wissen, um den Abend beim Wein zu genießen.
Wer aber die Geschichte dahinter kennen möchte, der liest einfach weiter.
Als Zeichen dafür, dass die Winzerstube geöffnet hat, hängte der Winzer einen Strauß, Besen oder Kranz ans Tor. Daraus leiteten sich dann regional sehr unterschiedliche Bezeichnungen ab. Das solltet ihr euch merken: In Rheinhessen sind es die Straußwirtschaften, nicht Straußenwirtschaften (es geht um Wein, nicht um flugunfähige Vögel), nicht Besenwirtschaften oder Buschenschänken (wir sind nicht in Baden oder Österreich.).
In rheinhessischen Straußwirtschaften schenkt der Winzer selbst erzeugten Wein aus. Das versteht sich, ist also einfach. Jetzt wird es etwas komplizierter: Dies darf er höchstens an vier zusammenhängenden Monaten im Jahr, die auch in zwei zusammenhängende Zeitabschnitte aufgeteilt werden dürfen. Ganz viele Straußwirtschaften haben im Frühjahr ein bis zwei Monate und noch einmal im Herbst zur Erntezeit, also im September und Oktober, geöffnet.
Auch dafür gibt es Vorschriften: Es dürfen nur einfach zubereitete Speisen serviert werden. So werden vor allem regionale Gerichte angeboten. Neben der Winzervesper und Käseplatte sind das in Rheinhessen natürlich der Handkäs' mit Musik und der Spundekäs'. Aber keine Angst: Es gibt genügend Spielraum für Vielfalt und kulinarische Entdeckungen. Im Frühjahr kommt ihr um den Spargel aus der Region nicht herum, im Herbst gibt es Wildgerichte.
Karl der Große soll im 812 angeblich den Winzern den Betrieb von „Kranzwirtschaften“ erlaubt haben, die durch einen ausgehängten Kranz aus Reben oder Efeu kenntlich gemacht wurden. Klingt nicht unwahrscheinlich. Schließlich hat er in seinem Capitulare de villis, der sog. Landgüterverordnung, detaillierte Vorschriften über die Verwaltung der Krongüter, also für alle Bereiche der Landwirtschaft, erlassen. Die Aufenthalte in seiner Residenz, der Kaiserpfalz in Ingelheim, haben ihn da sicher inspiriert.