Eine erste Einschätzung
Eine erste Einschätzung
Der Wein-Jahrgang 2022 in Rheinhessen gleicht einer Fahrt ins Blaue: nach dem relaxten Start im Frühjahr und dem „normalen“ Austrieb folgte Anfang Juni eine perfekte Blüte. In schweißtreibender Erinnerung bleibt vor allem der trockene, heiße Sommer mit seiner extrem durstigen Vegetationsphase. Die vielen Sonnenscheinstunden schürten die Erwartungen auf extra süße Trauben mit hohen Mostgewichten. Andererseits konnte man beim Probieren der reifenden Beeren kaum Saft genießen. „Nur Haut und Knochen“ unkten die Winzer, also Schalen und Kerne mit wenig Saftausbeute beim Keltern, so die Befürchtung. Der Lese würde wohl nicht nur im Hinblick auf die Böden eine recht trockene Angelegenheit. Das bewahrheitete sich auch beim extrem frühen Lesebeginn der ersten Müller-Thurgau-Trauben. Was sich beim wenigen Saft, der aus den Keltern floss, jedoch schon abzeichnete: Die Mostgewichte waren doch so nicht so hoch als zunächst erwartet. Die Rebe braucht zur Zuckerproduktion nicht nur Sonne, sondern auch Wasser, und das war bis zu diesem Zeitpunkt vielerorts Mangelware.
Die Natur gleicht jedoch bekanntermaßen vieles wieder aus und meinte es, was das Wasserdefizit betraf, im September besonders gut. An einigen Orten gingen in der ersten Septemberwoche fast sinnflutartige Regenmengen zu Boden und der himmlische Wasserhahn wurde auch den restlichen September über nicht mehr zugedreht. Positiver Nebeneffekt war, dass sich die Trauben noch füllen konnten und die Erträge in der Folge doch nicht so gering waren, wie zunächst angenommen. Die im Vergleich zum Vorjahr ohnehin schon moderaten Weinsäuregehalte „verdünnten“ sich mit der Wasseraufnahme der Rebstöcke nochmals, was im Ergebnis jedoch dem Verbraucherwunsch sehr entgegenkommt. Zu diesem Zeitpunkt zeigten sich die Trauben noch kerngesund, weshalb viele Winzer trotz schwieriger Befahrbarkeit der Böden in der Lese ordentlich aufs Gas drückten, um -insbesondere bei den Rotweintrauben das ausgezeichnete Farbpotential zu erhalten. Während die Burgundersorten das unverhoffte Wasser gut wegstecken konnten, zeigte der Wasser-Booster bei vielen Riesling-Trauben schnell die Kehrseite der Medaille und das Ziel, möglichst gesundes Lesegut auf die Kelter zu bringen, hat den weiteren Ernteverlauf nochmals ordentlich beschleunigt. In den ersten Oktobertagen war die Weinlese nach einem „Turboherbst“ vielerorts schon beendet.
Dass dieser Weinjahrgang so ganz anders werden würde, als noch in den ersten Septembertagen erwartet, machte dann schnell die Runde. Die Experten vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) in Oppenheim beobachten in ihrer Erntebilanz zunächst die Reifegrade, die knapp unter dem langjährigen Durchschnitt liegen - bei zugleich moderaten Säurewerten und einer guten Ausprägung der sortentypischen Aromen. Dabei bestechen die roten Sorten aufgrund der vielen Sonnenscheinstunden mit außergewöhnlich farbintensiven Jungweinen.
Die Erntemenge, die letztlich nach Hause gebracht wurde, war in diesem Jahr extrem abhängig von der Wasserverfügbarkeit in den Weinbergen. Der großflächige Regen im September führte -für ganz Rheinhessen betrachtet- zu einer durchschnittlichen bis leicht überdurchschnittliche Erntemenge. Eine hohe Schlagkraft, eine enorme Kompetenz in der Traubenverarbeitung und auch etwas Risikobereitschaft zum Ende der Lese waren dieses Jahr angesagt. Über all das verfügen unsere rheinhessischen Winzerinnen und Winzer – ein großer Pluspunkt angesichts der besonderen Herausforderungen dieses Jahrgangs.
Die ersten Weine dieses wahrscheinlich sehr früh trinkreifen 2022ers sind bereits abgefüllt, sogar einige Rotweine sind schon dabei. Aber wir sind ja auch fast einen Monat früher dran als bei der letztjährigen extrem späten Weinlese, wo die Weine zudem auch noch eine viel längere Lagerzeit im Fass bis zur Genussreife benötigten. Fruchtig-frische Weißweine mit moderater Weinsäure und dezenten Alkoholgehalten bieten schon jetzt beim 2022er einen guten Trinkfluss. Den tiefdunklen Rotweinen mit kräftiger Tanninstruktur gönnen wir noch einige Monate Fassreife. Wer große Eile hat, der darf sich auf die ersten Kostproben von Weiß- und Roséweinen des neuen Jahrgangs noch vor Weihnachten freuen.